Das Modell der psychosozialen Entwicklungsstufen nach Erik Erikson (1902 – 1994) verbindet die einzelnen Entwicklungsstufen mit dem zentralen Thema der Persönlichkeitsentwicklung, dem Aufbau von Ich-Identität. Theoretiker sind sich einig, dass alle Menschen bestimmte aufeinander folgende Entwicklungsstufen durchlaufen. Während jeder einzelnen Stufe sind wir bestimmten wichtigen Belastungen ausgesetzt, an denen wir entweder wachsen oder scheitern können, je nachdem, wie wir und unsere Umwelt diese Belastungen bewältigen können. „Die Begriffe Krise und innere Einheit sind zwei relevante Komponenten seiner gesamten Entwicklungskonzeption. Krise versteht er als Wendepunkt im Sinne einer entscheidenden Periode, die sowohl erhöhte Verletzlichkeit als auch erhöhtes Potenzial in sich birgt. Das Gefühl der inneren Einheit charakterisiert ein zentrales Merkmal seines Konzepts der „Ich-Identität“. (Oerter&Montada, 1995, S.322). Hier ein Ausschnitt aus der tabellarischen Darstellung dieses Entwicklungsmodells:

Phasen der Identitätsentwicklung bis zum 18. Lebensjahr

Ungefähres Alter
(Jahre)
Psychosoziale Krisen
Umkreis/
Bezugsperson
Psychosoziale
Modalitäten
Säuglingsalter
0-1,5 Jahre
Vertrauen
versus
Misstrauen
Mutter
Gegeben
bekommen
Geben
Kleinkinder
1,5-3 Jahre
Autonomie
versus
Scham und Selbstzweifel
Eltern
Halten
(Festhalten)
Lassen
(Loslassen)
Vorschulalter
3-6 Jahre
Initiative
versus
Schuldgefühl
Familienzelle
Tun (Drauflosgehen),“Tun als ob“(=Spielen)
Schulalter
6 Jahre bis Pubertät
Kompetenz (Werksinn)
Versus
Minderwertigkeits-
Gefühl
Wohngegend
Schule
Etwas „Richtiges“ machen, etwas mit anderen zusammen machen
Adoleszenz
Pubertät
Bis 18 Jahre
Identität
Versus
Identitätsdiffusion
„eigene“ Gruppen, „die anderen“ Vorbilder
Wer bin ich (wer bin ich nicht). Das Ich in der Gemeinschaft

Entsprechend dem Stufenmodell von Erikson(1976/1994), das aufgrund klinischer Studien entwickelt wurde, besteht der Lebenszyklus aus acht aufeinander folgenden Stufen. Psychosoziale Entwicklungsstufen sind „sukzessive Entwicklungsstadien, die sich auf die Orientierung einer Person zu sich selbst und zu anderen konzentrieren; diese Stadien beinhalten sowohl den sexuellen als auch die sozialen Aspekte der Entwicklung einer Person und die sozialen Konflikte, die sich aus der Interaktion zwischen dem Individuum und der sozialen Umwelt ergeben“(Zimbardo&Gerrig, 2004, S.470).

1. Lebensjahr: Vertrauen versus Misstrauen
Wenn Bezugspersonen die Bedürfnisse des Kindes befriedigen und eine intensive emotionale Bindung eingehen können, kann sich das grundlegende „Urvertrauen“ eines Menschen entwickeln. Wenn eine starke stabile Beziehung zu den Eltern besteht und diese das Kind mit Nahrung, Wärme und Geborgenheit versorgen, stellt sich das Vertrauen ganz von selbst ein. Wenn jedoch die erwachsenen Bezugspersonen häufig abwesend sind und die Grundbedürfnisse des Kindes nicht befriedigt und nicht genügend Nähe und Körperkontakt hergestellt werden, so entwickelt sich beim Kind eher Misstrauen. Auf diese Weise ist es dann nicht genügend vorbereitet für die Herausforderung der nächsten Stufe. Wird die Entwicklungsaufgabe dieser Phase gut bewältigt, so kann das Kind ein stabiles, grundlegendes Sicherheitsbewusstsein entwickeln, andernfalls entstehen Unsicherheit und Angst.

1. bis 3. Lebensjahr: Autonomie versus Scham und Selbstzweifel
Das Kind entwickelt Autonomiewünsche. Kinder, welche die Herausforderung dieser Stufe erfolgreich bewältigen, entwickeln Willenskraft und erreichen ein Gleichgewicht zwischen der Durchsetzung ihres Willens und Selbstbeschränkung. Wird ein Kind in dieser Phase zu viel kontrolliert und kritisiert, so können Selbstzweifel entstehen. Wird das Kind zu streng erzogen (z.B. zu frühe Sauberkeitserziehung) oder überfordert, verringert sich sein Mut zur Bewältigung neuer Aufgaben. Durch daraus entstehende Szenen heftiger Konfrontationen kann die schützende Eltern-Kind-Beziehung zerstört werden. Das Kind kann sich in diesem Alter als Handelnder und Verursacher von Geschehnissen als fähig zur Körperbeherrschung selbst wahrnehmen. Misslingt dies, so können Zweifel an der eigenen Fähigkeit zur Kontrolle von Ereignissen entstehen.

3.-6 Lebensjahr: Initiative versus Schuld
Durch das Spielen verschiedener Rollen im Familienkontext und die Entwicklung eines Gefühls dafür, was erlaubt ist und was nicht, entwickeln Kinder ein Gewissen und die Fähigkeit, Schuld zu empfinden. Sie erreichen einen Gleichgewichtszustand, in dem ihr Gefühl von Initiative von einem angemessenen ausgeprägten Gewissen geleitet wird. Bindungspersonen können durch ihre Reaktion auf die kindlichen Aktivitäten entweder sein Selbstvertrauen stärken oder das Kind mit Schuldgefühlen und dem Gefühl, ein dummer Eindringling in die Welt der Erwachsenen zu sein, belasten. Gelingt dieser Entwicklungsschritt, dann kann das Kind lernen, auf eigene Initiative und Kreativität zu vertrauen, andernfalls kann ein Gefühl fehlenden Selbstwertes entstehen.
(s. „Psychotherapie für Kinder und Familien“, S.50-52/Gudrun Görlitz)

In der Förderung der 1-3 jährigen Kinder in unserer Einrichtung, übertragen wir das vorgestellte Modell mit den Kenntnissen der Bindungstheorien in Bezug auf Betreuung in Kindertagesstätten (s. „Wege zur sicheren Bindungen in Familie und Gesellschaft“-Prävention, Begleitung, Beratung/ Karl Heinz Brisch/ Theodor Hellbrügge (Hrsg.)).